Enuresis/ Enkopresis

 

Unter Enuresis (Einnässen) versteht man den nicht organisch bedingten unwillkürlichen Urinabgang bei über 5-Jährigen, deren körperlich-geistige Entwicklung im übrigen altersgemäß ist. Dieselbe Symptomatik bezeichnet man bei Vorliegen organischer Ursachen als Inkontinenz.  

Enuresis nocturna meint das nächtliche Bettnässen und Enuresis diurna das Einnässen am Tage. Von primärer Enuresis ist die Rede, wenn das Kind seit Geburt einnässt und noch nie länger als sechs Monate trocken war. Beginnt das Kind zu einem späteren Zeitpunkt einzunässen, so wird von sekundärer Enuresis gesprochen.  

Schließlich unterscheiden wir permanentes und sporadisches (also gelegentliches) Einnässen. Auftretenshäufigkeit Schätzungen zufolge nässen etwa 10% der Schulänfänger noch nachts ein. In den folgenden Lebensjahren werden jeweils 10 -15% der einnässenden Kinder trocken. Einnässen bei Tage ist seltener als nächtliches Einnässen, Jungen sind insgesamt häufiger betroffen als Mädchen.  

 

Ursachen:  

Neben organisch bedingten Störungen der Blasenkontrolle, die zu einer Inkontinenz führen können (etwa Abflussbehinderungen an den unteren Harnwegen, Harnwegsinfektionen oder Fehlentwicklungen an den oberen Harnwegen) werden das Einnässen, also die eigentliche Enuresis, in der Regel betrachtet als nicht angemessenes Sauberkeitsverhalten, d.h. als Folge des Nichterlernens oder des Wiederverlernens von Sauberkeitsverhalten oder als Folge eines zugrunde liegenden seelischen Konflikts. So lässt sich - vereinfacht - ein lernpsychologischer Enuretiker-Typ, bei dem Störungen im Verlauf der Sauberkeitserziehung verursachend wirken, und ein psychodynamischer Enuretiker-Typ, bei dem Konflikte wie Schulprobleme, familiäre Spannungen oder traumatische Erfahrungen eine Rolle spielen, unterscheiden. Vor Beginn einer psychotherapeutischen Behandlung ist es daher wichtig, einerseits organische Ursachen durch eine fachärztliche Untersuchung auszuschließen und andererseits die Vorgeschichte des Einnässens genau zu betrachten. Ebenso wichtig ist es herauszufinden, warum das Kind heute noch einnässt - denn sehr häufig sagt die Ursache noch nichts darüber aus, warum sich an dem einnässenden Verhalten im Verlaufe der Zeit nichts geändert hat.

Die Entwicklung des Sauberkeitsverhaltens: Bei der Betrachtung der Ursachen sollte man sich verdeutlichen, wie komplex die Entwicklung des Sauberkeitsverhaltens ist. Während der Säugling die Blase noch automatisch entleert, beginnt mit dem zweiten Lebensjahr ein komplexerer Reifungsvorgang neuraler, psychophysiologischer und motorischer Funktionen, der erst mit dem sechsten Lebensjahr endgültig abgeschlossen ist; und dies auch nur, wenn sich das Kind ansonsten körperlich und geistig altersentsprechend entwickelt. Dieser Reifungsprozess kann zwar durch erzieherische Maßnahmen unterstützt, nicht jedoch beschleunigt werden. Wichtig ist, dass erst im zweiten Lebensjahr die körperlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Tageskontrolle der Blase gegeben sind und dass erst im dritten und vierten Lebensjahr die körperlichen Bedingungen für eine vollständige Blasenkontrolle vorliegen. Erst mit sechs Jahren kann die Blase willentlich entleert werden. Eine inkonsequente Sauberkeitserziehung kann ebenso zum Einnässen führen wie eine zu frühe und eine zu sehr fordernde Sauberkeitserziehung. Daher ist es wichtig, Kindern zu gegebener Zeit Anregungen zu geben. Man sollte aber nicht zu viel von ihnen erwarten und sie nicht mit Druck und Strafandrohung zur Sauberkeit erziehen wollen.  

 

Die Behandlung des Einnässens:  

Die Behandlung des einnässenden Kindes beinhaltet unter anderem folgende Elemente: Den Kindern wird spielerisch Wissen vermittelt über die körperlichen Vorgänge bei der Blasenfüllung und -entleerung. In einem Unterbrecher- und in einem Einhaltetraining lernen die Kinder einerseits ihre Blase als kontrollierbares Organ kennen, andererseits dienen diese Trainings der Kapazitätssteigerung der Blase. Die Kinder übernehmen - soweit sie altersbedingt dazu in der Lage sind - die eigene Verantwortung für das Einnässen (z.B. Bettwäsche selbst wechseln). Die Kinder führen schließlich Protokoll. Auch hypnotherapeutische Elemente und Entspannungsübungen können den Betroffenen Hilfen bieten. Sie sollten u.a. durch Körperwahrnehmungsübungen ein bewusstes Gefühl für den eigenen Körper entwickeln. Schließlich sollten auch das Freizeitverhalten der Kinder und gemeinsame familiäre Aktivitäten besprochen werden. Unter Umständen mag es aber auch sinnvoller sein, das Einnässen nicht direkt zu behandeln, sondern dem Kind spiel- oder maltherapeutische Ausdrucksmöglichkeiten zu bieten. In jedem Fall ist die aktive Bereitschaft des Kindes und die der Eltern von großer Bedeutung für den Therapieerfolg.  

 

Das Einkoten (Enkopresis)

Schätzungen zufolge leiden ein bis zwei Prozent der Kinder in den Schulklassen eins bis drei unter Enkopresis; Jungen drei bis vier mal häufiger als Mädchen. Die zuvor genannten Unterscheidungen der Auftretensarten von Enuresis (primär, sekundär etc.) und die besprochenen Ursachen (psychodynamisch und lerntheoretisch) gelten auch für das Einkoten - mit der Einschränkung, das beim Einkoten organische Ursachen häufiger eine Rolle spielen als beim Einnässen. Auch in diesem Fall ist die Sauberkeitsentwicklung sehr komplex. Die zuverlässige Stuhlentleerung gelingt den meisten Kindern im Verlaufe ihres dritten Lebensjahres. Von einigen Besonderheiten abgesehen, stehen für diese Kinder prinzipiell auch dieselben Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung wie für die einnässenden Kinder.  

 

Literatur:  

Ratgeber Einnässen. Informationen für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher von Alexander von Gontard, Gerd Lehmkuhl Hogrefe-Verlag.

Einnässen im Kindesalter. Erscheinungsformen - Diagnostik - Therapie. von Alexander von Gontard Thieme,

Enuresis. Diagnose, Beratung und Behandlung bei kindlichem Einnässen. von Gabriele Haug-Schnabel, Gabriele Haug- Schnabel Reinhardt, München. Einnässen, ein Hilferuf. von Gabriele Haug-Schnabel, Gabriele Haug-Schnabel Ravensburger Buchverlag.